LeSS: Large Scale Scrum (komplette Übersicht)

Large Scale Scrum LeSS Titelbild
Von Sebastian Schneider // 16.06.2022 // 0 Kommentare

Was ist LeSS (Large Scale Scrum)?

Wer möchte seine Produkte schnell, gezielt und skaliert entwickeln? Der kann mit einem agilen Framework an die Entwicklung herangehen, auch als größere Organisationen. Das Framework Large Scale Scrum (LeSS) ist dafür eine gute und einfache Möglichkeit. Das kleinere LeSS-Framework für bis zu maximal 8 Teams, und das größere LeSS-Framework für mehr als 8 Teams. Hier wollen wir über die stetige Verbesserung und die größte Herausforderung der Einführung sprechen.

Was ist das LeSS Framework?

Large Scale Scrum (LeSS)

Das Large Scale Scrum Framework beschreibt sich als flexibel nutzbarer und ausfüllbarer Rahmen. Er dient zur agilen, skalierten Produktentwicklung. Dabei sind mehrere, funktionierende Scrum Teams die Basis. Das Large Scale Scrum Framework liefert dafür die nötige Struktur. Ziel ist es, die Scrum Teams mit einem geringen Aufwand zu synchronisieren und die gemeinsame Entwicklung sicherzustellen.

Im Fokus der Entwicklung steht das ganze Produkt, für das ein Product Owner verantwortlich ist. Dieser beschreibt mit Hilfe des Kunden und der eignen Teams das Product mit Product Backlog Items (wie zum Beispiel User Stories). Dabei arbeiten die Teams in der Regel stärker direkt mit dem Kunden, als wir es sonst kennen.

Das Koordinationselement für alle Teams ist ein zentrales Product Backlog. Aus der daraus resultierenden, sortierten Anforderungsliste bedienen sich die Teams und füllen damit ihren persönlichen und individuellen Sprint Backlog. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, wächst LeSS mit seinem Einsatzumfang. Die erforderlichen Konzepte werden auf Basis der Empirie erweitert.

Die Einführung von agilen Praktiken können die tägliche Arbeit im System unterstützen.

Wie ist das LeSS Framework aufgebaut?

LeSS Framework

Im Fokus stehen bei dem Large Scale Scrum Framework 10 Prinzipien. Diese breit gefächerten Denkansätze helfen dabei die Vorgehensweisen im Scrum auf mehrere Teams zu skalieren.

Nachfolgend findest du die 10 Prinzipien (Handout LeSS Webseite) in der Übersicht, alle weiteren Details zu den LeSS Regeln in meinem Artikel.

  • Large-Scale Scrum ist Scrum: Bei LeSS geht es um kein neues oder anderes Scrum. Es geht darum die Prinzipien, Elemente und den Effekt von Scrum in einer skalierten Umgebung anzuwenden. Multi-Team Scrum anstatt von mehreren Scrum Teams.
  • Transparenz: Basierend auf greifbaren, erledigten Product Backlog Item, kurzen Zyklen (Sprint), Zusammenarbeit, gemeinsamen Definitionen und angstfreien Arbeitsumgebungen.
  • Mehr mit Weniger:  (1) Im Zuge der empirischen Prozesskontrolle: Mehr Lerneffekt durch weniger definierte Prozesse. (2) Durch Lean Thinking: Mehr erzeugter Nutzen durch die Vermeidung von „Waste” und „Overhead“. (3) In der Skalierung: Mehr Eigenverantwortung, Zweck und Freude durch weniger Rollen, Artefakte und Spezialgruppen.
  • Das Produkt im Vordergrund: Ein Product Backlog, ein Product Owner, ein potentiell auslieferbares Produkt Inkrement, ein Sprint — unabhängig davon, ob es 3 oder 33 Teams gibt. Kunden wollen das Produkt, nicht nur Teile davon.
  • Kundenorientiert: Identifikation von Wert und „Waste“ aus der Sicht des zahlenden Kunden. Reduktion der Durchlaufzeit aus seiner Perspektive. Mehr Feedbackschleifen mit dem echten Kunden. Jeder versteht, wie die tägliche Arbeit direkt mit dem zahlenden Kunden zusammenhängt.

  • Kontinuierliche Verbesserung bis hin zur Perfektion:  Erzeuge und liefere jederzeit ein fehlerfreies Produkt, welches den Kunden absolut erfreut und ihm das Leben erleichtert. Führe jeden Sprint einfache und einschneidende Experimente durch, um Perfektion zu erlangen.
  • Lean Thinking: Erzeuge eine Organisation deren Basis „Manager-als-Lehrer“ ist und die Systemdenken und Lean Thinking anwenden und lehren, sich ständig verbessern und Go See sowie Gemba praktizieren. Füge die beiden Säulen Respekt für Personen und kontinuierliche Verbesserung hinzu. Alles bis hin zur Perfektion.
  • Systemdenken (Systems Thinking): Erkenne, verstehe und optimiere das ganze System (nicht einzelne Teile) und erforsche Systemdynamik. Vermeide lokale und Inseloptimierungen z.B. mit dem irreführenden Fokus auf der „Effizienz“ und „Produktivität“ von Einzelnen oder einzelnen Teams. Für Kunden zählt die gesamte Durchlaufzeit vom Konzept bis zur Einnahme, sowie der konstante Fluss, nicht die einzelnen Schritte.
  • Empirische Prozesskontrolle: Inspektion und Adaption des Produkts, der Prozesse, des Organisationsdesigns, sowie der Praktiken, um eine der Situation angepasste Organisation auf der Basis von Scrum zu entwerfen, anstatt einer detaillierten Formel zu folgen. Eine empirische Prozesskontrolle benötigt und kreiert Transparenz.
  • Warteschlangentheorie (Queuing Theory): Verstehe wie sich Systeme mit Warteschlangen in R&D verhalten und nutze diese Erkenntnisse um Warteschlangengrößen, Work-in-Progress Limits, Multitasking, Arbeitspakete und Variabilität zu managen.

Zusätzlich fordert das Large Scale Scrum Framework eine technische Perfektion. Dazu gehören verschiedenen Umsetzungsaspekte:

  • kontinuierliche Integration,
  • kontinuierliche Auslieferung,
  • sauberer Programmcode und
  • Automation von Tests.

Kleiner Hinweis: Meine Erfahrung aus vielen Projekte ist, dass die technische Exzellenz (Perfektion) oft nicht als Grundlage vorhanden ist und wir deshalb schwer wird, LeSS zu implementieren. Die Schuld oder das Problem wird dann meistens in den Frameworks gesucht und dann eine Auswahl auf ein komplizierteres oder umfangreicheres Framework gelegt, anstatt an den Grundlagen zu arbeiten.

Wie lässt sich das LeSS Framework einsetzen?

Das LeSS Framework lässt sich für Unternehmen in verschiedenen Bereichen einsetzen. Situationsbedingt kann es für Unternehmen schon sinnvoll sein, ab drei Teams auf das LeSS zu setzen. Jedoch ist diese Zahl nicht in Stein gemeißelt, sondern kann je nach aktueller Situation angepasst werden.

Es gibt durchaus auch Unternehmen, die nicht das kleinere LeSS-Framework nutzen, sondern mit mehr als 8 Teams arbeiten. Um die Nutzung der LeSS Frameworks zu verinnerlichen, musst du bedenken, dass am Ende eines Sprints sich die Teams zusammen in fixen Scrum Terminen treffen und absprechen. So gibt es nur ein Sprint Review für alle, ebenso wie eine Sprint Planung 1. In anderen Scrum Events bleiben die Teams meistens unter sich, wie die Sprint Planung 2 oder das Daily Scrum (wobei es auch hier Ausnahmen geben kann).

Bei LeSS unterscheiden wir also zwischen den beiden Frameworks:

  • LeSS
  • LeSS Huge

LeSS (2 bis 8 Teams)

Bei dieser Variante arbeiten 2 bis zu 8 Teams mit etwa 8 Mitgliedern in einem Team. Als Basis dient dabei natürlich Scrum. Ein einziger Product Owner ist in diesem Zusammenhang für das Projekt verantwortlich.

LeSS Huge (über 8 Teams)

In dieser Varianten sind mehr als 8 Teams mit je 8 Mitgliedern an einem Projekt beteiligt. Dabei kann der sogenannte Area Product Owner (APO) in Spiel kommen, der eine Requirement Area verantwortet

Hierbei handelt es sich um einen Menge von aus Kundensicht zusammengehörigen Anforderungen des Produktes. Diese werden in einem Area Backlog festgehalten. Auch hier bleibt der Product Owner verantwortlich dafür. Wichtig ist, dass alle Team die gleichen Definition of Done nutzen. Die Entwicklungsarbeit je Requirements Area erfolgt zum Sprint parallel.

Aber auch hier versuchen wir möglichst einfach zu bleiben und den Gedanken "less is more" hochzuhalten.

Es gibt zudem eine Art "magische Zahl", die wir bei der Betrachtung von Menschen in Organisationen berücksichtigen. Sprich: Durch die Anzahl der entstehenden Beziehungs- und Kommunikationsmöglichkeiten sind irgendwann keine echten Interaktionen zwischen Menschen mehr möglich bzw. sie werden "sehr teuer".

Das kennst du bereits aus der Teamgröße von Scrum oder auch mit der so genannten "Dunbar Zahl". Ich will nicht dogmatisch die Zahlen diskutieren, meistens laufen Teams zwischen 3-9 Menschen recht gut und man geht grob von etwa 150 Personen aus, ab denen soziale Bindungen sehr schwer werden können.

Wann und warum das Framework nutzen?

LeSS macht Unternehmen agil - natürlich stimmt das nicht und ob und wie du agil wirst, hängt von vielen Faktoren ab. Möchtest du das Framework verwenden, solltest du "basic LeSS" nutzen, sprich mit dem arbeiten, was das Framework auch bietet. Frage dich bei allem, was du zusätzlich einfügst, warum du das gerade machst und ob es wirklich nötig ist. Dein Start in die agile Transition kann mit dem System Thinking beginnen.

LeSS nutzt du im Grunde immer genau dann, wann du auch Scrum nutzen würdest, nur eben mit mehreren Teams. Dazu kannst du zum Beispiel mit dem Stacey Landscape Diagram herausfinden, wo du dich aktuell befindest. 

Worin bestehen die Stärken & Schwächen des LeSS Frameworks?

Das Framework hat natürlich auch seine Stärken und Schwächen.

  • Als Vorteil kann angesehen werden, dass LeSS nur wenige weitere Konzepte einführt, wodurch beim Arbeiten mit LeSS eine Klarheit durch Scrum bereits vorhanden ist. Im Gegensatz zum Scaled Agile Framework zielt LeSS aus das gesamte Produkt ab und ist sehr schlank.
  • Kennt das Scrum Team bereits den Scrum Guide, dann ist der Schritt zum gemeinsamen Sprint nicht mehr weit. Auch das ist ein Vorteil vom LeSS Rahmenwerk. Ebenso wie die empirische Prozesskontrolle, die wie in Scrum unterstützend ist.
  • Das Framework nutzt weniger Rollen als das Scaled Agile Framework. So findest du hier nur die bekannten Rollen aus Scrum und zum Beispiel keinen Release Train Engineer oder einen Product Manager.
  • Als Nachteile kann verstanden werden, dass sich keinerlei Angabe zu einer Unternehmensstrategie oder einem Portfolio macht. Auch wenn sich dieser Nachteil durch die LeSS Prinzipien im Grunde zu einem Vorteil wandelt, wird es oft von Kritikern oder Unwissenden angebracht. 
  • Eine weitere Herausforderung für viele Unternehmen ist der Gedanke des Lean Thinking und des "Whole Product Focus", welches nicht ebenso ohne Veränderung im Unternehmen erreicht wird. Dafür ist eine agile Kultur im Unternehmen nötig.
  • "More with less" ist ohne Agile Organisation und Agile Development nicht erreichbar. Wir brauchen einen Fokus auf die wichtigen Dinge. Der Ausdruck "less is more" muss zur gelebten Unternehmenspraxis werden und bedeutet damit auch immer eine tiefgreifende Veränderung.

Wer steht hinter dem LeSS Framework?

Craig Larman und Bas Vodde sind die Ur-Väter des LeSS. Beide Ingenieure arbeiteten 2005 bei Nokias Siemens Networks (NSN) und starteten die Entwicklung des LeSS. Larman und Vodde ließen ihrer ihre Erfahrungenswerte aus der Finanz- & Telekommunikationsbranche bei der Entwicklung des LeSS einfließen. In verschiedenen Produktentwicklungsprojekten fanden dann die beiden heraus, welche der agilen Konzepte sich in der Praxis anwenden ließen.

Laut den beiden Gründern ist das LeSS sowohl in größeren als auch in kleineren Unternehmen anzuwenden. Produktbasierte Unternehmen wie BMW nutzen dieses Konzept bereits und es existieren verschiedene Fallstudien, die ein hohes Gewicht in deiner Auswahl für ein Skalierungs-Framework sein können.

Mittlerweile kann man LeSS auch in Deutsch bekommen und steht frei zur Verfügung. Unternehmen können so diese Möglichkeit nutzen, um schneller an das Ziel der Produktentwicklung zu gelangen.

Weitere Informationen

Für weitere Informationen kannst du dir auf meinem Blog die folgenden Artikel ansehen oder aber die Webseite von LeSS unter https://less.works betrachten. Du möchtest mehr? Dann schaue in meinen kostenlosen Scrum Kurs und in meinen Scrum Master Class Membership - so kommst du schnell zu ersten Teams, die auch LeSS gut implementieren.

Sebastian Schneider ist dem Framework Scrum - es war Liebe auf den ersten Sprint - bereits seit 2005 verfallen. Seitdem begleitet er Unternehmen (meist größere) bei der Transition in eine neue Arbeits- und Produktwelt.

Dafür findet er den richtigen Grad zwischen zielgerichteten systemischen Impulsen und dem nachhaltigen Coaching in der Organisation, um diese bei der Entwicklung und Optimierung des eigenen Kundenmehrwerts zu unterstützen und entwickelt mit ihnen Produkte, die ihre Kunden lieben.

Im richtigen Maß gehören dazu die effektive und effiziente Facilitation dazu, sowie agile Spiele und Simulationen, die sein Themenfeld auf einfache Art begreiflichen machen.

Auf Konferenzen, sei es im Fachbeirat oder als Akteur, gibt er gerne Erkenntnisse weiter und freut sich über Kontakte von Angesicht zu Angesicht.

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